Vor 500 Jahren: Heinrich von Boisselar, genannt Heckinghaus
Vor ca. 500 Jahren, etwa um das Jahr 1505 heiratete Heinrich von Bossier (= Bosler, ein kleines Dorf bei Jülich) die Erbtochter des
Hennesken zu Heckinghausen und damit in den Bockmühlhof ein. Hennesken wird schon 1487 in einem Barmer Schatzbuch erwähnt. Herzog Wilhelm II. von Berg nahm damals bei seinen Untersassen im ganzen
Herzogtum ein Darlehen auf. Unter den Barmern, die sich beteiligten, war auch Hensken to Heckynckhusen. Ergab 3 ... (die Währungsangabe ist unleserlich, wahrscheinlich Goldgulden).
Die Bockmühle wies eine Besonderheit auf: obwohl sie territorial im Bergischen lag, gehörte sie wie einige andere Höfe in Barmen dem Grafen von der
Mark. In der Mark gab es anders als in Berg noch Hörigkeit, eine leichte Form der Leibeigenschaft. Auch einzelne Bewohner der Bockmühle waren zu dieser Zeit noch Hörige. Diese unterschiedliche
rechtliche Stellung von Bergischen und Märkischen führte sogar dazu, dass die märkische Obrigkeit in einer Urkunde vom 30. Juli 1489 hierzu feststellte, „dass keine Märkischen und Bergischen
einander heiraten sollten, ausser sie haben eine Erlaubnis von den Amtleuten in Beyenburg (= für Berg) und Wetter (= für die Mark)! Die Urkunde erwähnt noch, dass ein bergischer Mann eine
märkische Hörige auf der Bockmühle geheiratet hatte. Dabei könnte es sich um Hennesken gehandelt haben. Offenbar hatte er in den Bockmühlhof hinein geheiratet und stammte seinem Namen nach von
einem der vier Heckinghauser Stammhöfe.
Heinrich von Boisselar nahm den Namen seiner Frau Guda (Gudula), Heckinghaus, an, da er in ihren Hof einheiratete. Diese Heirat führte zu den schon
bekannten Problemen mit dem märkischen Hofesrecht, denn Guda war - wahrscheinlich von ihrer Mutter her und als Erbtochter - märkische Hörige. Sie vermochte es jedoch, sich aus der Hörigkeit
freizukaufen. Mit einer Urkunde vom 7. Oktober 1508 bestätigte ihr der märkische Landesherr die Freiheit:
„Wir Johann Herzog von Cleve Graf von der Mark tun kund, dass Guda von Heckinghausen unsere vollkommene Eigenhörige ist (volschuyrige eygen wyff).
Sie gehört in unseren Hof von Wichlinghausen im Amt Wetter. Sie hat dann einen echten Mann genommen, geheissen Heinrich, in dem Land von Jülich geboren, der von ihr zwei Kinder bekommen hat. Wir
bekennen für uns und unsere Erben in dieser Urkunde, dass wir die vorgenannte Gunda mit ihren beiden Kindern, die sie nun hat, und mit denen, die sie etwa noch bekommen sollte, aus der genannten
Eigenhörigkeit ganz und gar entlassen und ledig erklärt haben um eine bestimmte Summe Geldes (umb eynen penynck), die sie uns darauf - wofür wir danken - wohl bezahlt hat. Und nach diesem Tage
bis zu ewigen Tagen sollen sie unsere freien Dienstleute sein und bleiben und alle privilegierten Ämter und Gnaden geniessen, wie unsere anderen freien Untersassen und Dienstleute in unserem Land
und Amt allda."
Aus dem Jahre 1525 ist eine Liste märkischer Höfe in Barmen erhalten, wo unter anderem das Gut des Hennesken zu Heckinghausen taxiert wird:
Hennesken to Heckinchuyss
Henrich syn edem 400 Gulden
(= Eidam, Schwiegersohn)
Wilhelm ibidem (ebenda) 200 Gulden
Peter ibidem 60 Gulden
Peter ind Johann ibidem 50 Gulden.
Das Paar hatte eine Reihe von Kindern, von denen drei Söhne bekannt sind. Stefan wurde Priester und Vikar des Schwelmer Marienaltars. Der Hof, der
die beachtliche Grösse von über 70 Morgen hatte, wurde 1543 zu gleichen Teilen zwischen den beiden übrigen Söhnen Franz und Peter geteilt. In einer Liste der bergischen Spann- und Schüppendienste
von 1547 heisst es über den Hof:
„Zu Heinckinckhussen der Richter ein Haff 1 perdt ,Heinrich dae seluest ein haff 1 pd"
Jeder Hofesteil leistete also dem Dörner Hof des bergischen Landesherrn Pferdedienste.
Heinrich von Boisselar ist 1519 -1521 als Richter in Lüttringhausen, von 1526 - 1543 als Richterin Barmen bezeugt. Er war ausserdem Patron der
Vikarie des Schwelmer Marienaltars, was erbrechtliche und damit verwandtschaftliche Beziehungen seiner Frau zu dem Stifter Petrus van Heckynichusen (über ihn siehe Heckinghauser Jahrbuch 2001/02)
vermuten lässt. Im evangelischen Kirchenarchiv Elberfeld sind zwei Urkunden erhalten, die Heinrich in Ausübung seines Amtes aufnahm
Am 13. Dezember 1529 übertrug Heyne up dem Lychtenscheidt eine Rente, die ihm der Besitzer des Gutes „in der Marpe" schuldete, auf den jeweiligen
Vikar des EIberfelder Marienaltars. Als Siegler wird „Hynderich tho Heckynckhuesen", Richter „in den Barmen", genannt.
Am 26. März 1541 verzichteten mehrere Barmer auf ihre Rechte am Hof in der Leimbach zugunsten des Elberfelder Marienaltars. Der Vorgang geschah „vor
dem Richter des Hofes in dem Barmen Henrich van Boslar gen. (genannt) Heckynckhuyssen, der im Namen Herzogs Wilhelm von Kleve, Geldern, Jülich und Berg, Graf zu der Mark, Zutphen und Ravensberg,
Herr zu Ravenstein, und der verwitweten Anna, Tochter zu Kleve, Gräfin von der Mark und Waldeck Recht spricht."
Schriftzüge von Heinrichs Namen aus den Urkunden von 1529 und 1541 (Quelle: Archiv Verband Evangelischer Kirchengemeinden in Wuppertal-Elberfeld)
Leider ist bei beiden Urkunden das Siegel verloren gegangen. Heinrichs Siegel ist jedoch von einer Urkunde vom 22. Februar 1526 erhalten. Die Aufschrift
lautet:
„Hinrich von Boslar gnt (= genannt) Heckinckhuys, Richter to Barmen und to Lüttringhausen"
Als Zeichen führte Heinrich im Rund des Siegels eine „Heckentür" aus sieben senkrechten Latten, einer mittleren horizontalen und einer diagonalen Latte.
Das Siegel Heinrichs von 1526
(Quelle: Hessisches Staatsarchiv Marburg)
Das Amt des Hofesrichters darf übrigens nicht mit dem des Amtsrichters verwechselt werden, der nach wie vor in
Beyenburg sass und seinen Sitz erst 1735 nach Barmen verlegte. Vielmehr kam Heinrichs Amt etwa dem eines Hofesschulten in Barmen und Vorsitzenden der Markgenossenschaft, an der die 52 grössten
Bauern Barmens beteiligt waren, gleich. Der Hofesrichter war allerdings kein Organ bäuerlicher Selbstverwaltung, sondern unterste landesherrliche, also staatliche Instanz. Echte kommunale
Funktionsträger waren erst die ihm unterstellten Gemeindevorsteher.
Seine stadtgeschichtliche Bedeutung erlangte Heinrich in Zusammenhang mit dem Barmer Weistum. Dabei handelt es sich um eine Sammlung des Barmer
Rechts. Dieses Recht war über Jahrhunderte aus den unterschiedlichsten Einzelrechten allmählich entstanden und gewachsen. Seine Anfänge sind sicherlich schon um das Jahr 1400 anzunehmen. Manche
dieser Rechtssätze regeln elementare Dinge wie die Zahlung von Strafgeldern, freies Geleit für landesfremde Verbrecher und das Recht des Landesherrn, Güter einzuziehen, wenn der Inhaber sich
weigerte, die Belehnung einzuholen. Auch mussten alle Barmer auf Aufruf des Landesherrn ohne Unterschied in Waffen erscheinen und sich zu seiner Verfügung stellen.
Eher in den Bereich des Humors scheinen dagegen andere Festlegungen zu weisen. Bei als Abgabe an die Obrigkeit zu zahlenden Schuldhühnern wurde
beispielsweise deren Tauglichkeit daran gemessen, dass sie auf einen dreibeinigen Stuhl fliegen konnten. Bestimmte Rechte beim Verkauf von Erb und Gut konnte man nur geltend machen, wenn man ein
unabgewischtes Messer in die Scheide steckte. Kurios ist auch die Eierabgabe. Manche Höfe hatten nur ein halbes Ei abzuliefern. Da halbe Eier schlecht abgegeben werden konnten, musste der Richter
mit einem Krug von Haus zu Haus gehen. Die Hausfrau zerschlug das Ei auf dem Rand des Kruges und behielt die Schale in der Hand. Fiel der Dotter in den Krug, gehörte das Ei dem Landesherrn. Blieb
der Dotter in der Schale, gehörte es der Frau. Eine geschickte Hausfrau konnte hierbei häufig die Steuer sparen!
Dieses Weistum war ursprünglich nicht schriftlich fixiert, sondern wurde mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. An dem auf St. Kunibert
(12. November) folgenden Tag musste einer der Hofesmänner in Barmen dieses Hofesrecht, auch Rolle oder Freiheit genannt, auswendig in immer gleichem Wortlaut vortragen. Etwa um 1533 war dies ein
gewisser Peter Schmidt in der Leimbach. Angesichts des damals üblichen geringen Bildungsstandes war das sicherlich eine beachtliche Leistung. Man kann deshalb die Sorge der Barmer verstehen, dass
das Hofesrecht verloren gehen könnte, wenn dieser Peter Schmidt einmal verstürbe und niemand da wäre, der ein ähnlich gutes Gedächtnis hätte.
Heinrich von Boisselar wusste Abhilfe und veranlasste die Niederschrift des Weistums. Weiterhin sorgte er für eine regelmässige Verlesung. Als 1555 der Herzog von Berg die Hofesrechte im ganzen
Land erkunden liess, konnten die Barmer eine komplette Hofesrolle präsentieren.
1593 wurde das Barmer Hofesrecht untersucht. Dabei gab der alte Johann auf dem Cleff einen genauen Bericht über das Zustandekommen der Hofesrolle zu
Zeiten Heinrichs. Unter den sechs Hofesleuten, die seinen Bericht bestätigten, wird auch der 80-jährige Johann Gräff zu Heckinghausen genannt.
Das Barmer Weistum sollte noch lange die wichtigste Rechtsquelle des Hofesrechts bilden. Erst allmählich wurden die Regelungen Stück für Stück durch
neuere und modernere ersetzt. Die letzten traten erst 1808 mit der Aufhebung aller alten Rechte und Privilegien durch Napoleon ausser Kraft. Die regelmäßige Verlesung des Weistums war aber schon
mit dem Tode Heinrichs von Boisseiars wieder aus der Mode gekommen.
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Gerhard Dabringhausen
Quelle:
Jahrbuch 05/06, Seiten: 67,69,71